Nach dem Lehrgang ist vor der Zertifizierung: Personenqualifizierung nach ISO 17024

Ein Interview mit der Leiterin der Fraunhofer-Personenzertifizierungsstelle, Dorothea Kugelmeier

Die Kurse finden direkt am Fraunhofer IFAM statt und die Teilnehmer erhalten neben begleitenden Unterlagen auch abschließende Zertifikate.
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Frau Kugelmeier
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Bescheinigung von praxisrelevanten Kompetenzen: Von der Tätigkeit zur Prüfungsfrage gemäß ISO17024

Die Weiterbildung zum Composite Engineer am Fraunhofer IFAM ist absolviert, Neues wurde gelernt. Doch erst mit der Prüfung ist der Lehrgang tatsächlich abgeschlossen. Teilnehmer erwerben mit dem Bestehen auch eine Zertifizierung nach ISO 17024. Seit 2016 beurkundet die »Fraunhofer-Personenzertifizierungsstelle« am Fraunhofer FIT Qualifikationen in verschiedenen Bereichen. Aktuell werden neben UsabilityEngineering-Zertifikaten, Data-Science-Zertifikaten sowie dem Zertifikat Professional Product Lifecycle Management (PLM) auch Zertifikate im Bereich Faserverbundwerkstoffe angeboten. Die Einhaltung der normativen Vorgaben wird durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) sichergestellt. Diese prüft jährlich die Konformität der Arbeitsprozesse der Fraunhofer-Personenzertifizierungsstelle mit den Vorgaben der ISO 17024. Doch was bedeutet Personenzertifizierung genau? Wer verbirgt sich hinter der Instanz? Und welche Vorteile bringt die Norm ISO 17024 für Absolventen und deren Arbeitgeber mit sich? Wir sprachen mit Dorothea Kugelmeier, Leiterin der Fraunhofer-Personenzertifizierungsstelle, zu diesen und anderen Themen.

 

Frau Kugelmeier, was habe ich als Absolvent des Composite Engineer von einer Zertifizierung nach ISO 17024?

Das Zertifikat ist ein unabhängiger Nachweis von einer externen Stelle, die die Weiterbildung nicht selbst durchgeführt hat. Es wird geprüft, ob geforderte Kompetenzen tatsächlich vorliegen. Das ermöglicht einen objektiven Vergleich zwischen Absolventen. Zudem stellt eine Zertifizierung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber etwaigen Mitbewerbern der eigenen Branche dar. Eine zertifizierte Person kann nachweisen, dass sie über wichtige Kompetenzen in ihrer jeweiligen Branche verfügt, die sie von anderen unterscheiden. Noch ein Aspekt sollte nicht vergessen werden: Bisher fordern zwar im Bereich Faserverbundwerkstoffe noch keine Normen explizit, dass das Personal qualifiziert sein muss. Aber es ist nicht auszuschließen, dass dies zukünftig so sein wird. Da es sich bei Faserverbundwerkstoffen um einen sicherheitskritischen Bereich handelt, ist so eine Entwicklung, wie etwa im Kleben, durchaus denkbar. Dort gibt es verbindliche Normen, die qualifiziertes Personal fordern. Der Nachweis über die Qualifikation wird nur anerkannt, wenn die ausstellende Stelle unabhängig arbeitet, z. B. nach der Norm ISO 17024.

 

Sie vergleichen die ISO 17024 gerne mit dem Schwimmen. Was hat die Zertifizierung eines frischgebackenen Composite Engineers mit der Verleihung des Seepferdchens durch den Bademeister zu tun?

Diesen Vergleich verwende ich gerne, weil sehr anschaulich die strikte Trennung zwischen Lehre und Prüfung deutlich wird. Beim Seepferdchen übernimmt nicht der Schwimmlehrer die Prüfung, sondern der Bademeister. Auf diese Weise wird eine objektive Bewertung gewährleistet. Genauso verhält es sich mit der Rolle der Fraunhofer-Personenzertifizierungsstelle bei der Prüfung. Die Weiterbildner lehren, wir prüfen und zertifizieren. Darüber hinaus ist der Vergleich aus einem anderen Grund schön: Ziel ist, dass das Kind – vollkommen egal, wie es das lernt – schwimmen kann. Hierfür muss es bestimmte praxisrelevante Kompetenzen nachweisen können. Der Bademeister überprüft diese Kompetenzen. Beim Seepferdchen bedeutet das: Kann die Person 25 Meter schwimmen, tauchen und vom Rand hineinspringen oder eben nicht? Hierfür müssen die Anforderungen, die gestellt werden, allen Beteiligten im Vorfeld bekannt sein: Dem Kind, dem Schwimmlehrer und dem Bademeister. Genauso verhält es sich bei Personenzertifizierungen nach ISO 17024. Die Bedingungen, unter denen ein Zertifikat vergeben wird, werden deutlich für alle kommuniziert, sind für alle nachlesbar und ermöglichen dadurch eine unabhängige, unparteiische und völlig transparente Prüfung und Zertifizierung.

 

Sie sprachen gerade die Wichtigkeit einer unabhängigen Prüfinstanz an. Wie stellen Sie diese Autonomie sicher? Schließlich trägt Ihre Institution die Bezeichnung „Fraunhofer“ im Namen.

Das ist eine Frage, die mir häufig gestellt wird. Sie ist sicherlich auch angebracht, wenn unterhalb der gleichen Dachorganisation sowohl Weiterbildung als auch Prüfung und Zertifizierung angeboten werden. Während gleichzeitig behauptet wird, es gäbe eine Trennung, erscheint das auf den ersten Blick nicht glaubwürdig. Wir handhaben das aber folgendermaßen: Innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft gibt es eine ganz klare personelle und organisatorische Trennung zwischen Weiterbildung und Prüfung bzw. Zertifizierung. Lassen Sie mich die Handhabung am Beispiel des »Composite Engineers« verdeutlichen. Die Fraunhofer-Personenzertifizierungsstelle ist als eigenständige und unabhängige Einheit am Fraunhofer FIT angesiedelt und agiert personell und organisatorisch unabhängig von den Weiterbildnern, wie etwa dem Fraunhofer IFAM, das Weiterbildungen im Bereich Faserverbundwerkstoffe und somit auch den »Composite Engineer« anbietet. Selbst innerhalb des Fraunhofer FIT sind wir eine unabhängige Instanz. Als Stabstelle der Institutsleitung haben wir mit den weiterbildenden Abteilungen im eigenen Hause keine Berührungspunkte. Da wir in Bezug auf die Zertifizierungsentscheidung nicht weisungsgebunden sind, kann auch die Institutsleitung oder die Zentrale der Fraunhofer-Gesellschaft keinen Einfluss auf die Zertifizierungsentscheidungen nehmen.

 

Welche weiteren Vorteile bietet die ISO 17024 neben der Sicherstellung der Unabhängigkeit der Prüfinstanz?

Die Praxisnähe bzw. Praxisrelevanz ist neben dem Qualifikationsnachweis an sich, der Konformität mit möglichen kommenden verpflichtenden Normen und der besseren Vergleichbarkeit zwischen Zertifikatsträgern auch noch einmal ein ganz wesentlicher Aspekt. Kommen wir einmal kurz auf das oben erwähnte Seepferdchen-Beispiel zurück: Hier wird etwas gelehrt, nicht einfach nur so, weil es interessant ist, sondern weil es für das Kind im Alltag unabdingbar ist. Wichtig ist, dass die geprüften Kompetenzen in der Praxis – ob beim Schwimmen oder im Beruf – Relevanz haben, dass sie für den Berufsalltag nützlich und notwendig sind, um die gestellten Aufgaben optimal umsetzen zu können. Es geht beim Seepferdchen nicht darum, in der Theorie zu wissen, wie die Arme beim Schwimmen bewegt werden müssen. Vielmehr soll das Kind sicher und verlässlich im Ziel ankommen ohne unterzugehen. Genauso verhält es sich auch mit den Kompetenzen, die die Teilnehmenden für die Zertifizierung nach ISO 17024 nachweisen müssen. Die Praxisnähe und -relevanz der geforderten Kompetenzen wird durch Fachausschüsse mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Lehre, Verbänden und Prüfern sichergestellt. Sie sind das Bindeglied zwischen Prüfung und Lehre, sie legen Lernziele und Kompetenzen fest. Die Gremien werden individuell für jedes Zertifizierungsprogramm zusammengestellt, sind ehrenamtlich tätig und führen mindestens ein Arbeitstreffen pro Jahr durch. So bleiben die Prüfungsinhalte und -regularien immer aktuell.

 

Was hat ein Weiterbildner in der Fraunhofer-Gesellschaft, etwa das Weiterbildungszentrum Faserverbundwerkstoffe des Fraunhofer IFAM, vom Fraunhofer-Zertifikat?

Lassen Sie mich noch einen Schritt vorher beginnen: Was hat ein Unternehmen von der Zertifizierung eines Mitarbeiters? Mit einem Zertifikat gemäß ISO 17024 wird nachgewiesen, dass er während der Weiterbildung nicht nur körperlich anwesend war, sondern auch wirklich etwas mitgenommen hat. Das interessiert neben den Absolventen selbst insbesondere auch deren Vorgesetzte. Diese sehen: Das in den Lehrgang investierte Geld ist gut angelegt. Auch in Bewerbungsprozessen können die Teilnehmer und potenziellen Arbeitgeber von einem Zertifikat profitieren. Ein objektiver Nachweis von Kompetenzen in Form eines Zertifikats hat eine höhere Aussagekraft als beispielsweise eine Teilnahmebescheinigung. Insbesondere größere Unternehmen, aber auch Mittelständler, achten bei Weiterbildungsmaßnahmen immer mehr darauf, dass Prüfung und Zertifizierung durch eine unabhängige Stelle erfolgen. Immer öfter wird hinterfragt, auf welcher Grundlage ein Zertifikat beruht, ob etwa der Weiterbildner das Zertifikat selbst ausgestellt hat oder eine unabhängige Zertifizierungsstelle. Daher wird es auch für Weiterbildner – wie etwa das Weiterbildungszentrum Faserverbundwerkstoffe am Fraunhofer IFAM – immer wichtiger, dass die Teilnehmer sich ihre im Rahmen der Weiterbildung erworbenen Kompetenzen durch eine unabhängige Stelle gemäß ISO 17024 bescheinigen lassen können. Nicht zuletzt ist dies dann auch ein Wettbewerbsvorteil für den Weiterbildner.

 

Eine Aufgabe der Fraunhofer-Personenzertifizierungsstelle ist neben der Zertifizierung von Personen auch deren Rezertifizierung. Was heißt das genau und welchen Nutzen hat sie?

Pflicht zur Rezertifizierung bedeutet, dass Zertifikate eine bestimmte Laufzeit haben. Diese ist bei uns auf drei Jahre angesetzt. Danach muss das Zertifikat wiederaufgefrischt werden. Das wird auch in der ISO 17024 so gefordert. So lässt sich sicherstellen, dass das Personal stets qualifiziert ist und sein Wissen in der Praxis immer abrufen kann. Schließlich vergeben wir ein Kompetenzzertifikat. Gerade bei Faserverbundkunststoff-Instandsetzern oder -Herstellern, die dafür zuständig sind, dass die Produkte, die sie herstellen oder reparieren, auch qualitativ hochwertig sind, ist der neueste Wissensstand unbedingt notwendig. Bei dem Werkstoffeinsatz handelt es sich oftmals um hoch sicherheitsrelevante Bereiche. Wenn wir uns zurück an unser Abitur erinnern, ist dies für immer gültig. Doch stellt sich die Frage, ob wir auch jetzt noch in der Lage wären, unser Abiturwissen sofort wiederzugeben und nachzuweisen. Es wäre zwar einfacher für alle, wenn die Zertifikate, die wir im Rahmen einer Personenzertifizierung vergeben, eine dauerhafte Gültigkeit hätten. Doch in unserem Fall sind die Sicherheitsrelevanz und die Verantwortung in der Praxis eine andere als beim Abiturwissen. Daher ist die Rezertifizierung notwendig und sinnvoll. Diese kann durch den Nachweis von Berufserfahrung und die Teilnahme an einer fachbezogenen Weiterbildungsveranstaltung erfolgen.

 

Vielen Dank für das Interview.

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