Vom Fraunhofer IFAM zur Entwicklung eines Klebstoffs für die Nierenstein-OP

3 Fragen an... Manfred Peschka, Mitbegründer der Purenum GmbH

Dr. Ingo Grunwald und Manfred Peschka haben einen Klebstoff entwickelt, der es möglich macht, bislang nicht greifbare Nierensteinfragmente zusammenzukleben und so zu entfernen.
© Purenum GmbH
Dr. Ingo Grunwald und Manfred Peschka haben einen Klebstoff entwickelt, der es möglich macht, bislang nicht greifbare Nierensteinfragmente zusammenzukleben und so zu entfernen.

Manfred Peschka ist Mitbegründer der Purenum GmbH, einer Ausgründung aus dem Fraunhofer IFAM, wo er lange Zeit für die Abteilung der klebtechnischen Fertigung zuständig war und in diesem Bereich auch die Weiterbildung leitete. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Ingo Grunwald hat Manfred Peschka nun im Rahmen eines BMBF-Projekts einen Klebstoff entwickelt, der es möglich macht, bislang nicht greifbare Nierensteinfragmente zusammenzukleben und so zu entfernen. Im Interview erklärt uns Herr Peschka, wie es dazu kam, welche Chancen Klebtechnik bietet und wieso die Weiterbildung in dem Bereich so wichtig ist.

Harnsteinerkrankungen treten immer häufiger auf. Die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdreifacht, etwa 1,2 Millionen Patienten werden jährlich deshalb behandelt. Immer wieder tritt jedoch das Problem auf, dass der Nierenstein größer als 4mm ist und auf natürlichem Wege nicht abgehen kann. Dann muss er zuvor mit Endoskop und Laser zerkleinert werden. Meist zerfällt der Stein jedoch nicht in Stücke der gewünschten Größen, sodass eine Reihe von Fragmenten sehr klein werden und mit dem Endoskop nicht greifbar sind. Diese kleinen Teile bleiben dann im Körper zurück, sodass keine 100% steinfreie Behandlung durchgeführt werden kann.

Der Weg zur eigenen Ausgründung

Dieses Problem stellt Urologen immer wieder vor große Herausforderungen, weshalb diese auf Dr. Ingo Grunwald und das Fraunhofer IFAM mit folgender Frage zukamen: »Gibt es einen Klebstoff, der diese Fragmente zusammenkleben kann, wodurch sich ein größerer Körper ergibt, der einfach herausgeholt werden kann?« Dr. Ingo Grunwald unternahm einige grundsätzliche Experimente und fand dabei ein Prinzip, welches eine Lösungsmöglichkeit darstellte, aber noch weit von einer Lösung entfernt war. Da Forschung immer auch finanziert werden muss, nahm er deshalb im Jahr 2012 Kontakt zu Manfred Peschka auf. Dieser beschäftigte sich zu der Zeit am Fraunhofer IFAM nicht nur damit, die Abteilung der klebtechnischen und industriellen Fertigung aufzubauen, sondern hatte zwei Jahre zuvor ein Executive MBA-Studium erfolgreich abgeschlossen, wobei die Masterarbeit zufällig im Bereich der Medizintechnik angesiedelt war. Gemeinsam schrieben sie Forschungsanträge und arbeiteten weiter an der Idee, Nierensteinfragmente mit geeignetem Klebstoff zu verbinden, um so das Problem der Urologen zu lösen. Im Rahmen eines BMBF-Projekts (GO-Bio 6 »mediNiK«) bekamen sie die benötigten Ressourcen und Möglichkeiten, ihr Produkt weiterzuentwickeln. Die Zusammenarbeit führte schließlich dazu, dass Manfred Peschka und Ingo Grundwald im Dezember 2017 die Purenum GmbH gründeten und sich auf Investorensuche begaben. Im Juni 2018 konnte die erste Finanzierungsrunde erfolgreich abgeschlossen und damit auch das operative Geschäft von Purenum begonnen werden. Aktuell arbeitet Purenum mit verschiedenen Kliniken und Ärzten zusammen, welche Usability-Tests durchführen und prüfen, ob das Produkt funktioniert und wie man damit umgehen kann und muss. Bis es tatsächlich auf den freien Markt kommt, ist aber noch eine Hürde zu überwinden: Das Produkt muss als medizinisches Produkt zertifiziert werden, was noch ein umfangreicher und schwieriger Weg ist. Dieser setzt zum Beispiel gesetzliche Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen voraus, wie ein Qualitätsmanagement nach ISO 13485.

Herr Peschka, inwiefern konnten Sie die Arbeit am Fraunhofer IFAM für diese neue Entwicklung nutzen?

Hier muss ich kurz ausholen. Als ich im Jahr 2002 zum IFAM kam, hatte ich bereits eine Lehre zum Werkzeugmacher und ein Maschinenbau-Studium mit Vertiefung in der Klebtechnik an der RWTH Aachen hinter mir. Zudem habe ich bereits in der Industrie einige Jahre verschiedenste Branchen kennengelernt, in denen Klebtechnik angewandt wird und dachte mir: So viel wird mir das Fraunhofer IFAM nicht mehr beibringen können – was ein Irrtum war. Das Tolle am Fraunhofer IFAM und seinem Weiterbildungszentrum ist, dass das komplette Aufgabenfeld aufgespannt wird und die Lehrgänge so strukturiert sind, dass man die fehlenden Puzzlestücke mitgeteilt bekommt. In der Industrie werden Dinge oft gemacht, ohne tiefgehender mit den Hintergründen vertraut zu sein. Diese Lücke zwischen Industrie und Forschung schließen die Weiterbildungen am IFAM. Sie sind produktunabhängig (Hersteller neutral) und konzentrieren sich auf die Vermittlung der technischen Zusammenhänge. So kommt es immer wieder dazu, dass während der Weiterbildungen am IFAM für den ein oder anderen Teilnehmer ein Aha-Moment entsteht. Nach der Schulung weiß man nicht mehr nur, was man tut oder zu tun hat, sondern auch warum.

Haben Sie konkrete Fälle erlebt, in denen es diesen Aha-Moment gab?

Ja, da gab es in den Schulungen immer wieder welche. Ein Lehrgangsteilnehmer hat beispielsweise erzählt, dass ein ehemaliger Mitarbeiter einmal meinte: »Heute ist gutes Wetter zum Kleben«, worauf seine Kollegen eher unwissend reagierten. Der Mitarbeiter wusste aber, dass feuchtigkeitsvernetzender Klebstoff, mit dem die Firma arbeitet, bei trockenem Wetter schlecht zu verarbeiten ist. Er hatte den Gesamtzusammenhang verstanden, nämlich dass für die Verklebung von Bauteilen vor allem auch die Bedingungen für den Klebstoff selbst wichtig sind. Ohne seine Weiterbildung am Fraunhofer IFAM hätte er diesen Wissensvorsprung beispielsweise nicht gehabt. Eine andere Firma hatte häufig Probleme mit wechselnden Qualitäten in der Klebtechnik. Am zweiten Tag der Schulung stellte er dann fest, dass sie bisher eigentlich alles richtig gemacht haben. Sie haben ihre Bauteile zur Vorbereitung gereinigt und gespült, aber den Wechselintervall für die Bäder – die im Laufe der Zeit verschmutzen – nicht definiert. Auch hier wurde deutlich, dass es nicht nur auf die Bauteile selbst, sondern das Zusammenspiel vieler verschiedener Aufgabenfelder ankommt.

Blicken wir einmal ein kleines Stück in die Zukunft: Könnte sich die Klebtechnik auch für andere medizinische Bereiche eignen?

Ja, bestimmt. Die Klebtechnik ist vielfältig. Tatsächlich arbeiten wir aktuell an einem weiteren Forschungsprojekt, das an das bisherige anknüpft. Während der Forschung am geeigneten Klebstoff für die Nierenstein-OP testeten wir viele Formulierungen auf ihre Einsetzbarkeit. Dabei stießen wir auf eine, die besonders gut geklebt hat – für den Nierenstein zu gut. Schnell stellte sich die Frage: Kann man mit diesem Material vielleicht auch Knochen kleben? Denn wenn man sich zum Beispiel ein Gelenk bricht, ein Knie- oder Handgelenk beispielsweise, dann entstehen häufig sehr kleine Knochensplitter. Weil diese mit herkömmlichen Traumaplatten nicht fixiert werden können, müssen sie komplett entfernt werden, was beim Patienten nach der Wundheilung zu einer eingeschränkten Beweglichkeit der Gelenke führt. Wenn es mithilfe von Klebstoff nun die Möglichkeit gäbe, die Knochensplitter wieder anzukleben und mit dem Klebstoff zu versorgen, wäre das eine tolle Weiterentwicklung in der Gelenkchirurgie. Noch sind wir nicht am Ende unserer Forschung angelangt – aber die nächsten drei verbleibenden Jahre des Projekts werden uns sicher noch interessante Erkenntnisse bringen.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Klebtechnische Weiterbildung am Fraunhofer IFAM

Informieren Sie sich hier über die Lehrgänge, die wir im Bereich Kleben durchführen.

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