Herr Dr. Witten, Sie sind Geschäftsführer bei der AVK - Industrievereinigung Verstärkte Kunstsstoffe e. V. – wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IFAM aus?
Seit ich vor 14 Jahren zur AVK gekommen bin, arbeite ich mit Experten vom Fraunhofer IFAM zusammen, das neben Rohstofferzeugern, Verarbeitern und Endanwendern als Prüfinstitut ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette im Composites-Markt ist. Herr Dipl-Ing. Stefan Simon, Leiter Weiterbildungszentrum Faserverbundwerkstoffe am Fraunhofer IFAM, ist Leiter des AVK-Arbeitskreises »Fügen von Composites«, einer von über 20 Arbeitskreisen der AVK, und zusammen mit ihm setzten wir die drei Online-Seminare 2021 zur Technologie der faserverstärkten Kunststoffe auf. Gemeinsam möchten wir Wissen vermitteln und Austausch zum Mehrwert aller Beteiligten der Wertschöpfungskette fördern.
In Ihrem Vortrag hatten Sie das Thema Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit dem Composites-Markt angesprochen?
Nachhaltigkeit ist im Composites-Markt tatsächlich sehr wichtig und ist schon seit einiger Zeit bei uns ein priorisiertes strategisches Thema. Seit 12 Jahren haben unsere 230 Mitgliedsfirmen, die Möglichkeit sich im Arbeitskreis »Nachhaltigkeit« zu engagieren. Nun haben wir mit »Composites Recycling« einen weiteren Arbeitskreis geschaffen, der durch Austausch und Vernetzung Nachhaltigkeit im Composites-Markt stärken soll. Die AVK hat auch bei der Erstellung des digitalen und kostenfrei nutzbaren Lifecycle-Management-Tool der EuCIA (European Composites Industry Association) mitgewirkt. Damit können Firmen die Lebensdauer ihrer Produkte bzw. Materialien berechnen.
Welche Rolle spielen weitere Industrietrendthemen wie Arbeitssicherheit und Digitalisierung im Composites-Markt?
Arbeitssicherheit ist nicht nur ebenso wichtig wie Umweltschutz, sondern auch inhaltlich an diesen geknüpft. Allerdings können wir hier auf zukunftsorientierte und stabile Maßnahmen blicken und haben keinerlei Bedenken zu äußern. Die Sicherheit der Arbeiter im Composites-Markt in Deutschland ist sehr gut.
Digitalisierung ist auch in unserem Markt wichtig, daneben gibt es aber ebenso bedeutende Themen für unsere Unternehmen wie innovative neue Anwendungen, Nachhaltigkeit, Leichtbau, Arbeitssicherheit, Weiterbildung sowie Qualitätssicherung und Normung / Standardisierung. Composites werden zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil immer noch sehr handwerklich hergestellt. Es gibt Anwendungsgebiete, die in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden wie der Bereich E-Mobility. In der Fahrzeugindustrie spielt Serienproduktion mit einer Auflage ab 10.000 Stück und somit Digitalisierung eine Rolle. In wichtigen Anwendungsgebieten der Composites ist manuelle Anfertigung essentiell: Schauen Sie sich Windkraftwerke an, von den einen Hersteller beispielsweise ein paar Dutzende im Jahr entwickelt. Bei Windkrafträdern bestehen die Flügel zum Großteil aus Faserverbundwerkstoffen, der Mast ist ein Massivbau aus Beton.
Welche Anwendungsgebiete von Composites gewinnen derzeit an Bedeutung?
Ein Drittel der Composites fließen in den Baubereich, das beinhaltet auch spezielle Herstellungsverfahren für Produkte wie Rohre für industrielle Anlagen und Tanks. Ein weiteres Drittel geht in den Transport- und Fahrzeugbereich. Angesprochen habe ich bereits die Anwendung im Bereich E-Mobility. Im Moment stehen Hersteller vor der Herausforderung, dass E-Autos mit ihrem hohen Gewicht einen hohen Energieverbrauch auslösen. Wenn beispielsweise Batteriegehäuse bzw. -deckel aus Composites hergestellt werden, dann kann das Gewicht der E-Autos verringert und die Ökobilanz verbessert werden. Ein spannendes Gebiet!
Andere interessante Anwendungsfelder der Composites sind Elektro-Schaltkästen, die zu 100% aus Faserverbundwerkstoffen bestehen, und Sportartikel wie Skier, Helme und Fahrräder.
Wie steht es um Unterschiede in der Anwendung von Glasfasern und Carbonfasern?
Faserverbundkunststoffe, bei welchen die Matrix mit Glasfasern verstärkt wird, machen 95% der Anwendungen aus. Rund 1-2% der FVK basieren auf Carbon bzw. Kohlestofffasern (CFK), die häufig 10mal so kostenintensiv wie erstgenannte sind. Diese wurden auch mal für die Herstellung von PKW z. B. für den BMW i3 entwickelt, haben sich aber aufgrund der hohen Kosten nicht durchsetzen können. Trotzdem gibt es hohe Potenziale für Hochleisterungswerkstoffe wie CFK. Aber auch die Chancen von FVK basierend auf Glasfasern sind enorm und insgesamt steigt weltweit die Herstellungsmenge von Composites jährlich um 5-10%.
Herzlichen Dank für das Interview, Herr Dr. Witten!