Fundiertes Wissen aller Beteiligten wird immer wichtiger für erfolgreiches Kleben und gleichzeitig scheint dies die größte Herausforderung zu sein. Dies ist ein übergreifendes Ergebnis der diesjährigen Umfrage zur Klebtechnik, an der sich rund 90 Personen beteiligt haben. Wir haben mit Holger Best, Content-Manager des themenfokussierten Wissensmanagement-Dienstleister ISGATEC GmbH, über die aktuellen Umfrageergebnissen gesprochen.
Herr Best, wie ist ihr Blickwinkel auf das Thema Klebtechnik allgemein?
Als Content-Manager des Wissensmanagement-Dienstleister ISGATEC begleite ich das »Kleben« – eines unserer drei zentralen Themen – seit mehr als zehn Jahren journalistisch. Mein Blickwinkel resultiert also aus einem regelmäßigen Kontakt zu Experten über unsere Medien und Veranstaltungen und aus dem Ziel heraus, für die relevanten Themen rund um ein erfolgreiches Kleben zu sensibilisieren.
Ein Ergebnis der Umfrage zur Klebtechnik ist, dass im Zuge aktueller Trends wie Ökologie und Nachhaltigkeit oder New Mobility die Anforderungen an die Entwicklung der Klebtechnik steigen. Fundiertes Wissen aller Beteiligten wird dabei immer wichtiger und scheint die größte Herausforderung zu sein. Welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten?
Im Kern geht es um das Verstehen, das Wissen und das Kommunizieren und dies lebenslang, beziehungsweise solange man sich mit dem Kleben beschäftigt. Dies ist auch in einem größeren Kontext zu sehen: Der Klebprozess ist komplex. Es gibt keine nennenswerte Basisausbildung zum Kleben an Hochschulen und nur vereinzelt in Ausbildungen. Die Projektanforderungen steigen, insbesondere da mit der Verbindungstechnologie »Kleben« im Zuge von Trends wie New Mobility, Leichtbau oder Materialvielfalt auch »Neuland« betreten wird. In diesem »Spannungsfeld« ist es entscheidend, zu wissen, was wichtig ist, oder die Personen zu kennen, die einem frühzeitig helfen können.
Jeder, der feststellt, dass er Wissenslücken hat, sollte also die vorhandenen Weiterbildungen (beispielsweise am Fraunhofer IFAM) nutzen. Auch Veranstaltungen am Fraunhofer IFAM oder bei ISGATEC sowie Medien- und Informationsdienste wie z. B. DICHT!, Adhäsion, Verbandsinformationen des IVK oder des Technischen Handels sind nützliche Informationsquellen. Zudem bieten sie die Chance, ein Netzwerk aufzubauen und zu pflegen.
Sie erwähnten den kommunikativen Austausch und lebenslanges Lernen: Wie sieht das konkret aus?
Bei Produkten mit Klebungen sind viele Parteien in den Klebprozess involviert – in den Unternehmen, aber auch Zulieferer und Dienstleister. Kleben ist keine statische Verbindungstechnik – sie entwickelt sich weiter; ebenso die Anforderungen, die an sie gestellt werden. Letztere können branchenspezifisch sehr unterschiedlich sein. Ein notwendiger Wissensstand (Stand der Technik) bedeutet damit zwangsläufig lebenslanges Lernen und die Kommunikation mit allen Beteiligten. Und das sollte über Klebprojekte hinausgehen.
Eine Frage der Umfrage bezog sich auf den Einfluss des Klebens auf verschiedene Branchen. Ein Fazit dazu ist, dass das Kleben die Entwicklung in verschiedensten Branchen beeinflusst und das Potenzial zur Verbindungstechnik des 21. Jahrhunderts hat. Wie würden sie die These des »fehlenden Wissens als roter Faden« in Bezug zu den einzelnen Branchen setzen? Gibt es hier Branchen, die besonderen Nachholbedarf aufweisen?
Nein, wenn eine Branche diese Verbindungstechnologie im großen Stil einsetzt, wie z.B. Automobil, Schienenfahrzeugbau, Elektronik und Bau, dann werden wissende und kommunikative Menschen entlang der Wertschöpfungskette einer Klebung gebraucht – von der Konstruktion der zu klebenden Bauteile bis zur Qualitätssicherung – Stichwort »Produktsicherheit«. Nachholbedarf gibt es m.E. eher bei Personen, die Klebprozesse nicht nur funktionsbezogen sondern ganzheitlich betrachten. Mitarbeitende in beispielsweise der Konstruktion, Produktion, Anlagenplanung und Qualitätssicherung etc. müssen daher frühzeitig mit Zuliefern (Klebstoffe, Fügeteile, Anlagenstechnik, Logistik etc.) kommunizieren.
Ein Beispiel: Es ist wichtig, den Klebprozess von der jeweiligen Arbeitsfunktion aus zu verstehen. Deshalb bieten wir z.B. dieses Jahr das Online-Forum »Klebstellen optimal auslegen« an. Ziel der Veranstaltung ist es, Konstrukteuren aufzuzeigen, was hinsichtlich Klebstoffauswahl, Vorbehandlung, Dosieren und Aushärten schon bei der Konstruktion von zu klebenden Bauteilen berücksichtigt werden muss, damit gesteckte Projektziele erreicht werden.
Ein weiteres Fazit zu den Trends war, dass Kleben eine große Rolle im Zusammenhang mit New Mobility und dem damit zusammenhängenden Trend zum Leichtbau haben wird. Die Werte zum Thema »Ökologie und Nachhaltigkeit« zeigen, dass die Einordnung und Meinungsbildung zu diesem Thema erst begonnen hat. These ist, dass das Kleben hier
mehr leisten kann, als oft angenommen wird. Wie kann Wissensbereitstellung im Kleben einen positiven Effekt auf Nachhaltigkeit haben?
Aus dem Blickwinkel »Nachhaltigkeit« wird beim Kleben m.E. derzeit viel über chemische Produkte, also die Klebstoffe, und das herausfordernde Recycling diskutiert. Prof. Dr. Groß hat die Diskussion erweitert, dahingehend Kleben im Kontext zu den neun »R-Strategien« zu betrachten. Dies ist m.E. sehr sinnvoll, da sie zu einer erweiterten zielführenden Bewertungen des Klebens kommt. Denn Klebstoffe werden trotz aller Bemühung absehbar zu größeren Anteilen »Chemie« bleiben. »Chemie« ist aber nicht das Problem, wenn sie ganzheitlich verantwortungsbewußt eingesetzt wird. Auch hier ist das Wissen um komplexe Zusammenhänge rund ums Kleben der Schlüssel zu einem ökobilanz-optimierenden Einsatz dieser Verbindungstechnologie.
Welche Ergebnisse haben Sie besonders überrascht?
Die Überraschung ist weniger ein einzelnes Ergebnis als die Tatsache, dass sich Werte über die Jahre kaum verändern. Einige Beispiele sind: »Klebprozesse werden teilweise nicht verstanden« und »die Signifikanz von Reinigung und Vorbehandlung wird unterschätzt«. Hier werden »Wissenslücken« deutlich. Ein anderer Aspekt ist: »Wichtig ist beim Kleben auch, dass alle Beteiligten zum frühestmöglichen Zeitpunkt an einem Tisch sitzen und kommunizieren.« Dieses Thema hatten wir oben schon.
Betrachtet man solche Einschätzungen der Teilnehmenden über die Jahre, bekommt man das Gefühl, das bestimmte Entwicklungen oder die Umsetzung von Einsichten in der Praxis sehr lange dauern. Allerdings muß man hier klar sagen, die Umfragen geben einen punktuellen Einblick in die Markteinschätzungen. Auch wissen wir nicht, ob sich immer die gleichen Personen beteiligen. Die Ergebnisse können also nur eine Sensibilisierung für Aspekte sein.
Vielleicht liegt die geringe »Bewegung« aber auch an einem grundsätzlichen Problem. Derzeit geht viel »Klebwissen« in Rente. Dem gegenüber stehen unterschiedlichste Weiterbildungsangebote und Qualitätsmaßnahmen wie z.B. die Norm DIN 2304, aber kaum Berufsausbildungen oder Schwerpunkte in Hochschulstudiengängen. Auch funktioniert anscheinend der Wissenstransfer von »alt zu jung« nicht immer optimal. Und so wächst Klebwissen in Summe wahrscheinlich nur langsam.
Die Einschätzungen sind nach Anwendenden und herstellenden bzw. liefernden Unternehmen getrennt ausgewertet. Welche Ergebnisse und Handlungsempfehlungen lassen sich in Bezug auf fehlendes Wissen und Weiterbildung in Hinblick auf diese zwei Zielgruppen schlussfolgern?
Wir machen diese Unterteilung, um Aufschluss über die unterschiedliche Wahrnehmung von Themen zu erhalten. Das sind Indizien für Handlungs- und Kommunikationsbedarf. Viel entscheidender ist aber, wie bereits erwähnt, dass bei Klebprojekten die Teilnehmenden beider Gruppen früh an einem möglichst großen Tisch sitzen, kommunizieren und sich dabei wissenstechnisch auf Augenhöhe begegnen. Bei ISGATEC gibt es auf der Website z.B. eine frei nutzbare Checkliste für Klebprojekte. Diese muss nicht zwingend abgearbeitet werden. Die Liste zeigt aber, wie groß das Spektrum der Themen um eine Klebung ist. Und wahrscheinlich werden Fachleute bei dieser Checkliste sagen, dass wichtige Punkte vergessen wurden. Deshalb unterliegt auch die Checkliste einer regelmäßigen Anpassung. Und im Kern geht es auch hier darum, komplexe Prozesse fassbar zu machen und für Aspekte zu sensibilisieren. Man kann sie auch bei Projektgesprächen einsetzen. Hier ist es allerdings wichtig, dass diese Gespräche von allen Beteiligten auf »Wissensaugenhöhe« geführt werden. Sonst werden die Meetings schnell unproduktiv – zuhören, verstehen und gemeinsam eine Lösung finden – das ist der Weg.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Best!